Konsensfindung: Das Streben nach besseren Sitzungen
In diesem Interview spricht Dr. Christoph Haug, Meeting Researcher und Senior Lecturer an der Universität Göteborg, über Konsensentscheidungen. Es verdeutlicht deren Rolle und erklärt, wie man in Sitzungen zu ihnen findet.
Entscheidungen im Konsens entstehen in Sitzungen nicht zufällig. Es braucht dafür engagierte Teilnehmende, welche die Meetings konsequent planen und vorbereiten. Außerdem sind adäquate Methoden zur Entscheidungsfindung und ein hohes Engagement gefragt. Fest steht: Es ist nicht immer einfach, einen Konsens zu erreichen. Sind Begriffe wie "Konsens" und "Einstimmigkeit" nicht ausreichend geklärt, erschwert sich dieses Vorgehen zusätzlich.
Für ein besseres Verständnis von Konsensentscheidungen, teilt Sitzungsforscher Dr. Christoph Haug, Senior-Dozent für Soziologie an der Universität Göteborg (Schweden), im Interview sein Wissen mit uns.
Sie erforschen die Entscheidungsfindung und Möglichkeiten, einen Konsens effektiv zu erreichen. Was hat Sie dazu bewegt, dieses Thema zu untersuchen?
Christoph Haug: Mein anfängliches Interesse galt der Frage, wie sich die Bewegung für globale Gerechtigkeit, eine sehr diverse soziale Organisation, berät und Entscheidungen trifft. Ich wollte herausfinden, wie die Aktivisten trotz erheblicher kultureller und politischer Unterschiede zusammenarbeiten. Es stellte sich heraus, dass die Entscheidungsfindung im Konsens dafür sehr wichtig ist. Aber ironischerweise gab es ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber, was ein Konsens ist.
Zu dieser Zeit war ich nicht an Management-Sitzungen interessiert, weil ich davon ausging, dass sie wenig mit den Sitzungen der Aktivisten gemeinsam haben. Aber als ich anfing, die Studien von David Seidl und andere Arbeiten über Vorstandssitzungen zu lesen, wurden mir die Ähnlichkeiten unserer Forschung bewusst. Trotz der Unterschiede der Menschen und Kontexte, sind die Probleme in Sitzungen (d.h. die Möglichkeiten der Zusammenarbeit) sehr ähnlich.
Welches sind die Faktoren, die über einen Konsens in Sitzungen bestimmen?
Christoph Haug: Es ist wichtig, sich des Unterschieds zwischen Einstimmigkeit und Konsens bewusst zu sein. Wenn Menschen einen Konsens erzielt haben, denken sie oft, sie hätten Einstimmigkeit erreicht.
Im Falle der Einstimmigkeit stimmen alle zu, während beim Konsens niemand anderer Meinung ist. Man könnte meinen, dass es dasselbe ist. Aber das stimmt nicht. Wenn alle zustimmen, dann hat sich jeder Teilnehmende entschieden und seine Zustimmung zum Ausdruck gebracht. Bei einer Konsensentscheidung können einige dem Gesagten zustimmen, andere widersprechen und wieder andere dem gleichgültig gegenüber stehen. Der Punkt ist: Es spielt keine Rolle, solange dies niemand zum Ausdruck bringt.
Das Faszinierende an der Konsensfindung ist, dass nur eine Person dem zu Beschließendem zustimmen muss. Zum Beispiel können in einem Raum mit zwanzig Personen alle anderen sich einfach nicht darum scheren oder keine Meinung haben. Wenn niemand Einspruch erhebt, handelt es sich um eine Konsensentscheidung. Es wäre ein Fehler, sie als einstimmig zu betrachten.
Einstimmigkeit ist sehr schwer zu erreichen, selbst wenn nur drei Personen beteiligt sind. Genau das macht den Reiz des Konsenses aus. Ich nehme an, dass es auf der C-Ebene für gewöhnlich – zumindest auf dem Papier – eine Mehrheitsregel gibt. In der Praxis beobachtet man jedoch oft, wie Direktoren einen Konsens anstreben. Aber warum sich mit Konsens beschäftigen, wenn man die Mehrheit entscheiden lassen kann?
Es gibt mindestens zwei offensichtliche Gründe, warum man lieber einen Konsens als eine Mehrheitsentscheidung erzielt.
- Einer der Gründe liegt darin, dass niemand gerne Teil einer unterlegenen Minderheit ist. Der Konsens macht diese Minderheit, falls es sie gibt, unsichtbar. Mit ihm gibt es keine Verlierer. Auch wenn Ihnen die getroffene Entscheidung nicht gefällt, haben Sie in dem Fall zumindest keine Stimme verloren.
- Der andere Grund ist, dass eine Abstimmung einen gewissen Grad an Formalität erfordert. Dieser erscheint oft unnatürlich, wenn die Sitzung nicht von Anfang an formell ist. Das Aufrufen zur Abstimmung ist auch eine Art zu sagen, dass man nicht länger diskutieren möchte. Im Gegensatz dazu funktioniert die Konsensfindung ganz einfach und ohne formelle Regeln. Wir wenden sie ständig an, auch mit Freunden und der Familie.
Nichtsdestotrotz gibt es ein Problem mit dem Konsens in Meetings, in denen die Satzung Mehrheitsentscheidungen vorsieht. Diese Regel lässt sich jederzeit geltend machen, um den Willen der Mehrheit durchzusetzen. Sie schränkt deren Bereitschaft ein, sich wirklich am Dialog zu beteiligen und eine gemeinsame Lösung zu finden.
In einer solchen Situation wird die Konsensentscheidung leicht zu einem Instrument der Dominanz: Die Minderheit ist nicht nur gezwungen, der Mehrheit nachzugeben. Sondern andere erwarten auch von ihr, dass sie die Entscheidung verteidigt, weil sie ja nicht widersprochen hat. Dieser "Schatten der Mehrheitsregel" lässt sich nur mit einer formellen Festlegung vermeiden, welche Entscheidungen durch Konsens getroffen werden. Dabei sollten wir bestimmen, was das tatsächlich bedeutet.
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Glauben Sie, dass eine gute Vorbereitung/Planung einer Sitzung die Konsensfindung beeinflusst?
Christoph Haug: Es ist wichtig, zwischen der Planung und der Vorbereitung einer Sitzung zu unterscheiden. Die Planung unterliegt einer Person oder einigen wenigen. Sie zielt darauf ab, eine Sitzung vorhersehbar zu machen. Die Vorbereitung ist dagegen etwas, was alle Teilnehmenden tun können. Sie kann die Konsensfindung und das Ergebnis einer Sitzung beeinflussen.
Dies lässt sich mit der Vorbereitung auf ein Sportereignis vergleichen: Man kann ein Spiel zwar nicht planen, aber man kann sich sehr wohl darauf vorbereiten. Wenn Sie an Sitzungen mit einer planerischen Einstellung herangehen, besteht die Gefahr, dass die Sitzungsteilnehmenden die Diskussionen infrage stellen. Sie könnten denken, dass der Vorsitzende die Sitzung in eine klare Richtung lenkt – ohne echte Alternativen.
Das bringt mich zu einem sehr wichtigen Aspekt: Ein Meeting, in dem die Teilnehmenden bereits das Ergebnis wissen, ist nicht wirklich eine Sitzung. Um dies zu sein, muss es ein Element der Unsicherheit geben – eine Möglichkeit der Überraschung. Ich würde behaupten, dass diese bei jeder Sitzung von Natur aus vorhanden ist. Wenn Menschen zusammensitzen, weiß man nie genau, was passieren wird. Gerade das macht Sitzungen interessant. So sehr man auch versucht, zu planen: Die Leute können aufstehen und etwas sagen, das alles verändert. Deshalb müssen wir natürlich bestimmte Aspekte eines Meetings planen. Es versteht sich von selbst, dass sich auch die Vorbereitung auf die Sitzung selbst auswirkt. Dennoch schlage ich vor, eher in der Vorbereitung als in der Planung zu denken.
Es ist gut, wenn die Menschen wissen, wo und wann die Sitzung beginnt.
Eine Agenda zu haben, hilft sicherlich.
Ich leitete einmal eine Sitzung, für die ich Dokumente vorbereitet hatte, welche die Teilnehmenden lesen konnten. Ich ging davon aus, dass alle sie gelesen hatten. In der Sitzung trieben die Leute die Diskussion ständig in eine andere Richtung. Sie behaupteten, dass sie – aus meiner Sicht unsinnigen Gründen – keine Entscheidung treffen konnten. Irgendwann wurde mir klar, dass sie die Dokumente nicht gelesen hatten und deshalb die Entscheidung nicht treffen konnten. Ich war gut vorbereitet und hatte nicht erwartet, dass die Leute unvorbereitet kommen würden. Ich denke, dass wir alle schon in einer solchen Situation waren.
Unvorbereitet teilzunehmen, kann übrigens auch eine Strategie sein: Menschen sabotieren damit bestimmte Entscheidungen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Es wäre vielleicht besser, im Voraus zu klären, welche Dokumente genau zu lesen und welche nur zu überfliegen sind. Andererseits wollen Sie gerade das nicht sagen, damit die Teilnehmenden idealerweise alle Dokumente lesen.
Wie kann eine sitzungsspezifische Technologie die Konsensfindung bei Führungssitzungen unterstützen?
Christoph Haug: Ein interessanter und herausfordernder Aspekt dieser Technologien ist, dass man verändern muss, wie Führungskräfte sie erleben und wie diese Sitzungen betrachten. Schließlich soll die Technologie funktionieren und die Konsensfindung unterstützen. Führungskräfte erinnern sich meistens nicht an die Details und schenken dem eigentlichen Meeting nur wenig Aufmerksamkeit. Dennoch sind die Technologien oft so konzipiert, dass sie Details wie die Sitzungsagenda oder das Sitzungsprotokoll als selbstverständlich ansehen. Damit die Führungskräfte deren potenziellen Nutzen einschätzen und schätzen können, müssen sie also über ihre Meetings nachdenken.
Die Branche der Meeting-Dienste versucht, diese Art von Bewusstsein mit Begriffen wie "Sitzungsdesign" oder "Sitzungskultur" zu schärfen. Ich bin gespannt, inwieweit dies die Qualität von Besprechungen steigern wird. Im Moment sehe ich online viele Ratschläge und Tools. Aber mir sind keine wissenschaftlichen Studien bekannt, die den tatsächlichen Umfang der Nutzung aufzeigen und über den effektiven Einsatz Aufschluss geben. Es bleibt eine Frage für die Forschung, die ich zu untersuchen gedenke.