Organisationaler Wandel: Das “Management-Shift-Modell” am Beispiel der Meeting-Kultur
Lesen Sie in unserem Interview mit Vlatka Hlupic, was organisationaler Wandel ist, wieso Kommunikation dabei eine zentrale Rolle spielt und was Führungskräfte unternehmen können, um eine bessere Meeting-Kultur zu erreichen.
Organisationaler Wandel bezieht sich auf den Prozess des Wachstums, des Rückgangs und der Transformation innerhalb einer Organisation. Für viele Unternehmen sind Veränderungen oft anspruchsvoll, da sie sowohl komplex als auch verwirrend sind. Organisationaler Wandel bringt aber auch Wachstumschancen und birgt grosses Verbesserungspotenzial.
Wir haben Vlatka Hlupic, Professorin für Wirtschaft und Management an der Universität Westminster sowie bekannte Autorin und Rednerin, eingeladen, ihr Wissen über organisationalen Wandel mit uns zu teilen. Ihr Management-Shift-Modell bildet die fünf Ebenen der Unternehmenskultur und den Reifegrad einer Veränderung ab. Da Meetings für den Erfolg eines Unternehmens zentral sind, haben wir sie ausdrücklich gebeten, ihr Wissen auf die vorherrschende Meeting-Kultur in Unternehmen anzuwenden. Organisationaler Wandel ist absolut notwendig, um die Kultur unproduktiver Geschäftsmeetings zu überwinden und bessere Teamarbeit, mehr Innovation und eine schnellere Entscheidungsfindung zu ermöglichen.
Lesen Sie in unserem Interview mit Vlatka Hlupic, was organisationaler Wandel ist, wieso Kommunikation dabei eine zentrale Rolle spielt und was Führungskräfte unternehmen können, um eine bessere Meeting-Kultur zu erreichen.
Was ist im Umgang mit organisationalem Wandel zu beachten? Was sind die fünf Ebenen Ihres Management-Shift-Modells? Und was bedeutet dies im Kontext der Meeting-Kultur?
Prof. Hlupic: Führung spielt eine wichtige Rolle im Umgang mit organisationalen Veränderungen. Ich habe viele Jahre lang über Führungspraktiken geforscht und daraus die fünf Ebenen des Management-Shift-Modells entwickelt.
Bevor ich diese fünf Ebenen auf das
Meeting Management
zuordne, möchte ich diese Ebenen im traditionelleren Management aufzeigen.
- Die erste Ebene spiegelt eine apathische Kultur wider, die wenig Sorge um die Menschen zeigt.
- Die zweite Ebene weist auf eine stagnierende Kultur hin, in der sich die Menschen nur ungern engagieren.
- Die dritte Ebene zeigt eine geordnete Kultur an, die auf "Command and Control" basiert.
- Auf Stufe vier ist die Kultur kollaborativ und basiert auf Transparenz und Vertrauen.
- Stufe fünf demonstriert die grenzenlose Kultur, die zu Innovation und hoher Leistung führt.
Nun kann man diese Ebenen des Management-Shift-Modells konkret auf die Meeting-Kultur in Unternehmen anwenden.
- Auf der ersten Ebene sieht das Meeting Management chaotisch aus. Meetings sind unorganisiert und die Sitzungsteilnehmenden fühlen sich unwohl und ängstlich.
- Auf Stufe zwei scheinen Sitzungen zufällig oder nicht aktiv gemanagt zu sein. Meetings verfolgen kein klares Ziel und die Menschen sind passiv.
- Auf Stufe drei sehen wir mehr Struktur und organisiertere Meetings. Dennoch besteht für die Teilnehmenden wenig Flexibilität, um Beiträge zu leisten und ihrer Stimme Gehör zu verschaffen.
Die grosse Verschiebung erfolgt zwischen Stufe drei und Stufe vier.
- Auf Stufe vier ist das Management flexibler. Sitzungen sind zielorientiert, ermöglichen intensivere Diskussionen und konzentrieren sich auf die produktive Zusammenarbeit. Kulturell führt dies zu mehr Innovation, erhöhtem Engagement und besserer Leistung.
- Auf Stufe fünf ist das Management kreativ. Meetings scheinen auf den ersten Blick weniger strukturiert zu sein, bieten jedoch eine grössere Möglichkeit für Menschen, Ideen zu entwickeln und zu testen. Dieser Aspekt hilft Teams, Dinge schneller zu verbessern oder wesentliche Innovationen zu erzielen.
Dennoch arbeiten 85 % bis 90 % der Organisationen unter Stufe vier. Obwohl sich Teams in derselben Organisation auf verschiedenen Ebenen befinden können, gibt es oft eine dominante Ebene, die hauptsächlich von der Denkweise der Führungskräfte bestimmt wird.
Um einen organisationalen Wandel erfolgreich zu gestalten - wer oder was sollte sich zuerst ändern: Führungskräfte, Mitarbeitende oder das System? Warum?
Prof. Hlupic: Es sind die Führungskräfte, die die ersten Schritte in Richtung Veränderung unternehmen müssen. Wir müssen Organisationen als lebende Organismen betrachten und sehen, wie alles miteinander verbunden ist. Dieser ganzheitliche Ansatz hilft uns, die Abhängigkeit zwischen individuellen Werten, Überzeugungen, mentalen Modellen und organisationalem Wandel zu erkennen.
Organisationskultur ist das Spiegelbild des Bewusstseins einer Führungskraft. Indem sie die Unternehmenskultur beeinflussen, prägen sie das Verhalten der anderen Menschen in der Organisation.
Dies führt wiederum zu neuen Verhaltensweisen, die die Kultur beeinflussen. Alles ist miteinander verbunden. Wir nehmen die Emotionen anderer um uns herum auf und ahmen deren Verhalten nach. Dies wird mit der Zeit die Organisationskultur beeinflussen.
Sie haben Erfahrung mit verschiedenen Arten von Führungspraktiken. Bitte teilen Sie uns ein Beispiel einer Organisation mit, deren Meeting-Kultur sich positiv auf das Wohlergehen und Produktivität von Führungskräften und Mitarbeitenden ausgewirkt hat. Inwiefern unterscheidet sich Ihrer Meinung nach eine bestimmte Meeting-Kultur von anderen?
Prof. Hlupic: Ich werde zwei Beispiele nennen, die mir bei der Recherche für meine Bücher begegnet sind.
Das erste Beispiel stammt aus einer Fallstudie aus meinem Buch "Humane Capital". Es handelt sich um ein kleines Medienunternehmen aus Brighton, Grossbritannien, dessen CEO in den französischen Alpen lebt. Für seine Teamsitzungen fliegt der CEO seine Kolleg*innen in die französischen Alpen, um in der Natur zusammenzuarbeiten. Sein Hauptaugenmerk liegt auf dem Wohlbefinden der Menschen, ihren Talenten und Leidenschaften. Diese Art von Sitzungs-Umgebung ist effizient und die Mitarbeitenden haben die besten Ideen.
Sie haben ein Belohnungssystem, das "Traummaschine" genannt wird. Nach dem Meeting schreiben die Mitarbeitenden ihren Traum auf ein Blatt Papier. Sobald das Team die festgelegten Ziele erreicht, nimmt es jeden Monat ein Stück Papier mit dem darauf geschriebenen Traum in die Hand. Das Unternehmen bezahlt dafür, dass jemandes Traum wahr wird. Obwohl die Kosten stiegen, verzeichnete das Unternehmen dank dieses Systems und einiger anderer Initiativen einen raschen Umsatzanstieg.
Das zweite Besipiel bezieht sich auf eine Fallstudie, die in meinem anderen Buch "The Management Shift" veröffentlicht wurde. Es zeigt den organisationalen Wandel eines Versicherungsunternehmens aus Grossbritannien, das es geschafft hat, von Ebene drei auf Ebene vier des Management-Shift-Modells zu wechseln. Die Diagnose ergab, dass es ein Problem mit dem Informationsfluss zwischen Management und Mitarbeitenden gab:
Strategische Entscheidungen
, die in Management Meetings getroffen wurden, wurden dem Rest der Organisation nicht zur Verfügung gestellt.
Wir haben mit dem Team einen einjährigen Aktionsplan entworfen. Der Schwerpunkt lag auf der Nutzung von Stärken und der Beseitigung von Schwächen in den sechs wichtigsten Bereichen: Kultur, Beziehungen, Einzelpersonen, Strategie, Systeme und Ressourcen. Eine der wichtigsten Säulen unseres Vorschlags war eine Neuorganisation des Informationsflusses: Am Ende hörte die Versicherungsgesellschaft die Stimmen ihrer Mitarbeitenden und begann, digitale Kommunikationsinstrumente einzusetzen, um transparenter zu werden. Dadurch fühlten sich die Menschen stärker einbezogen und engagierter.
Laut einer im Harvard Business Review veröffentlichten Studie scheitern 67 % der Projekte an deren Ausführung. Wenn jedoch Menschen an der Strategieentwicklung teilnehmen, wird auch die Umsetzung erfolgreicher sein. Es geht nur um Menschen. Wenn wir nicht gehört werden, sind wir auch nicht engagiert.
Wie wir uns treffen, kommunizieren und ob wir Technologie einsetzen, um den Informationsfluss zu verbessern, spielt eine wichtige Rolle bei der Demokratisierung und der Reife des Wandels von Menschen in Unternehmen. Team-Meetings und Technologie können dabei eine Rolle spielen, indem sie die Demokratisierung der Bedürfnisse und der Organisationskultur unterstützen.
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Was sind die entscheidenden Herausforderungen beim Übergang von einer unorganisierten, willkürlichen Meeting-Kultur zu einer strukturierten, kollaborativen?
Prof. Hlupic: Eine zentrale Herausforderung besteht darin, das Bewusstsein für die Meeting-Kultur zu schaffen. Die besten Resultate mit organisatorischem Wandel entstehen, wenn eine Organisation von einer “Command and Control”-Kultur zu einer kollaborativen Kultur wechselt - zwischen Ebene drei und vier im Management-Shift-Modell.
Kommunikation in alle Richtungen ist entscheidend und verbindet Führungsteams mit Mitarbeitenden. Es ermöglicht ihnen, sich mit potenziellen Unzufriedenheiten in Verbindung zu setzen und diese anzusprechen. Führungskräfte müssen sich folgende Frage stellen: Können meine Mitarbeitenden gedeihen oder sind sie lediglich am Überleben?
Ich kann die CEOs, mit denen ich zusammenarbeite, generell in zwei Kategorien einteilen. Diejenige, die mich aus Inspiration kontaktieren, und diejenige, die mich aus Verzweiflung kontaktieren. Die Kategorie Verzweiflung repräsentiert Unternehmen auf Ebene 1-3, während inspirierte Führungskräfte die Kraft und das Potenzial einer breiteren Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden auf allen Ebenen erkannt haben. Sie wissen, dass die Macht der Führung darin besteht, die Macht loszulassen und Ihre Mitarbeitenden zu befähigen. Diese Art von Leadership fördert eine Kultur der Produktivität, des Engagements und der proaktiven Mitarbeitenden - letztendlich wird mit weniger Aufwand mehr erreicht.
Was können Führungskräfte tun, um eine produktive und engagierte Meeting-Kultur zu etablieren, die Teammitglieder und Mitarbeitende motiviert?
Prof. Hlupic: Wenn sie die vierte Stufe noch nicht erreicht haben, sollten die Führungskräfte bereit sein, diese bedeutende Verschiebung zu durchlaufen. Sie sollten transparent sein, einen Konsens anstreben und ermöglichen, dass die Stimmen der Menschen gehört werden. Sie sollten die Menschen befähigen, Entscheidungen zu treffen und ihr Wissen mehr zu schätzen als ihre hierarchische Position. Um Vertrauen zu beweisen, sollten Führungskräfte eher Verantwortlichkeiten als Aufgaben delegieren. Das sind einige meiner Empfehlungen.
In Ihrem Buch „The Management Shift“ erwähnen Sie, dass dynamischer Wandel in sechs Dimensionen auftritt. In welcher Dimension sind Technologie und Digitalisierung enthalten?
Prof. Hlupic: Diese 6 Dimensionen bilden das sogenannte “6 Box Leadership Model” des Management Shifts:
- Kultur
- Beziehungen
- Personen
- Strategie
- System
- Ressourcen
Technologie und Digitalisierung sind in der Systemdimension des 6-Box-Modells enthalten. Diese Dimension konzentriert sich auf die Ausrichtung zwischen Systemen und Prozessen, zwischen Systemen und Strategien, die Genauigkeit der Informationen und vieles mehr.
Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf den Wandel im Meeting Management und wie sollten sich Führungskräfte darauf vorbereiten?
Prof. Hlupic: Um die Technologie optimal nutzen zu können, brauchen wir intelligentes Organisationsdesign. Mit anderen Worten, wir brauchen eine Kultur der Stufe vier. Auf Stufe drei oder darunter geht der Informationsfluss entmächtigend und entkoppelnd in nur eine Richtung.
Eine Kultur, in der jede Person miteinander verbunden und immer informiert ist, ist von entscheidender Bedeutung. Dies erfordert, dass die Verbreitung von Informationen nicht nur in den Prozess einbezogen, sondern in die Unternehmenskultur eingebettet wird. Dies ist der einzige Weg in die 4. industrielle Revolution.
Die Technologie wird eine stärkere, engagiertere und innovativere wechselseitige Kommunikation ermöglichen und zu mehr Transparenz, kooperativem Management und einer Demokratisierung der Arbeitsplätze führen. Es wird mit der richtigen Einstellung, der richtigen Technologie und dem richtigen Organisationsdesign möglich sein, alles auf der richtigen Ebene aufeinander abzustimmen.